Als der Autopionier Henry Ford über die Designprinzipien seines berühmten Modells T nachdachte, galt sein Hauptaugenmerk den Farmern im dünnbesiedelten amerikanischen Mittelwesten und der Tatsache, dass es dort im näheren Umkreis weder Werkstätten, noch Tankstellen gab. Das Modell T solle also so gebaut werden, dass jeder Farmer mit den Werkzeugen, die er vor Ort zur Verfügung hatte, die notwendigen Reparaturen vornehmen konnte. Der Innovationsschritt durfte also nicht allzu groß sein. Er war dennoch riesig. Denn laut einem ihm zugeschriebenen Zitat hätten sich die Farmer lieber „schnellere Pferde“ gewünscht. Ein Automobil hatten sie nicht auf dem Wunschzettel. Hätte Henry Ford auf die Farmer gehört, würde er ein Dopingmittel für die Pferde entwickelt haben – aber kein Billig-Auto.
Nicht viel anders verläuft es mit Künstlicher Intelligenz. Niemand wünscht sich KI, um der KI willen. Aber als Detailverbesserung in bestehenden Produkten lockte Künstliche Intelligenz Hunderttausende Besucher auf die Consumer Electronics Show in Las Vegas, die in diesen Tagen zu Ende ging. Die Herausforderung, der sich die führenden Elektronik- und Automobilhersteller stellen, lautet eben nicht: “Wie können wir mit KI disruptive Lösungen entwickeln?“, sondern lediglich: „Wie können wir unsere bestehenden Produkte mit KI optimieren?“
Überall flimmerten TV-Geräte, die noch größer, noch hochauflösender und eben noch smarter sind. Saug- und Wisch-Roboter zeigten, was sie dank KI an neuen Fertigkeiten erlernt haben, und Brillen mit eingebautem Display werden immer komfortabler, können die Umgebungssprache in Echtzeit übersetzen, nehmen ihre Umwelt wahr und liefern dazu ergänzende Informationen – Augmented Reality plus KI könnte tatsächlich eines der ganz großen Sachen für die nächste Zukunft sein.
Aber ob man wirklich einen Projektor für das hintere Autofenster braucht, das – wie es der deutsche Autozulieferer Continental demonstrierte – auf diese Weise mit der Außenwelt kommunizieren kann, darf erstmal getrost hinterfragt werden. „Komme gleich wieder“ kann man auch auf einen Zettel schreiben. Und ob man, wie im Demobeispiel gezeigt, auf dem Parkplatz eines Fußballstadions wirklich das Wappen seiner Lieblingsmannschaft auf die Scheibe projizieren sollte, erscheint angesichts gewaltbereiter Hooligans heutzutage ebenfalls äußerst zweifelhaft.
Überall auf der CES 2025 steckte KI drin. Aber gezeigt wurden die gewohnten Geräte: Roboter, die kleine Transportaufgaben übernehmen, smarte Haushaltsgeräte, Laptops und Smartphones mit faltbaren oder ausrollbaren Displays, Holodecks für den Schreibtisch oder den Küchentisch – alles mit Künstlicher Intelligenz gewürzt. Aber am Ende waren es im übertragenen Sinne immer noch Pferde für Farmer – nur schneller und smarter.
Auch der von Keynote-Speaker Jensen Huang, dem Vorstandsvorsitzenden von Nvidia, vorgestellte Supermini-Supercomputer für den Schreibtisch ist letztendlich nur ein schnellerer, kleinerer, kompakterer und günstiger, auf KI-Anwendungen spezialisierter Hochleistungsrechner mit neuem, bisher noch geheim gehaltenem Chipsatz. Aber er könnte eine Trendwende in der KI-Revolution einläuten. Das für schlappe 3000 Dollar ab Mai erhältliche Dings könnte demnächst tatsächlich in jeder Uni, jedem Entwicklungszentrum und sogar bei einigen Mittelständlern auftauchen, um KI-Algorithmen ganz ohne Cloud und Herstellerabhängigkeit zu trainieren.
Es ist das klassische Hin und Her, das wir in der Datenverarbeitung seit Erfindung des Abacus kennen. Die IT-Infrastruktur oszilliert kontinuierlich zwischen Dezentralisierung und Rezentralisierung. Es ist jetzt schon abzusehen, dass irgendwann die erste Server-Farm mit Tausenden von Nvidia Superminis aufmacht und KI-Services zu einem nie dagewesenen günstigen Preis anbietet. Doch am Ende ist auch das nur ein schnelleres Pferd.
Ein schnelles, smartes Pferd hatte auch der parteilose Bundesverkehrsminister Volker Wissing im Gepäck, als er nach Nevada reiste, um die Auszeichnung für Deutschland als einer von 25 Innovation Champions entgegenzunehmen. Er nannte das Unternehmen Vay als Beispiel dafür, dass sein Land tatsächlich führend in der KI-Forschung sei. Vay lenkt entsprechend umgebaute Taxis remote, also von einem zentralen Arbeitsplatz aus, an dem der Fahrer sitzt und über Bildschirme den Straßenverkehr beobachten kann. Vay hat inzwischen für Hamburg eine befristete Fahrerlaubnis erhalten. Dort sind seitdem „smartere Pferde“ unterwegs.