Dass Maschinen mit der Zeit altern können, kann jeder an seinem Fahrzeug beobachten: Irgendwann beginnen die Reparaturen, überhandzunehmen, und die Anschaffung eines Neuwagens rückt in den Fokus. An diesem Mechanismus hingen und hängen Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie. Auf der Fertigungsebene ist das nicht anders: Maschinen können dort altern, weil sie dank starrer und seit Jahrzehnten unveränderter Produktionsprozesse nicht veralten, sondern nur immer wartungsanfälliger werden. Unmerklich steigen die Instandhaltungsaufwendungen, verlängern sich Stillstandzeiten und sinkt die Produktionsqualität. Es ist ein Bild, dass sich in vielen Fabrikhallen in Deutschland zeigt. Natürlich gibt es auch Abertausende mittelständischer Unternehmen, bei denen das nicht so ist. Sie halten den Innovationsstandort Deutschland hoch.
Dass auch Software altern kann, ist weniger offensichtlich. Aber durch Ergänzungen hier, Anpassungen da und Schnittstellen dort wird auch bei Anwendungen der Wartungsaufwand immer größer. Hinzu kommt, dass das massiv steigende Datenvolumen viele Systeme bis an die Grenzen belastet. Und in die Jahre gekommene Standardlösungen lassen sich nur schwer an veränderte Geschäftsprozesse und Märkte anpassen. Da fällt es zusätzlich schwer, neue Funktionen wie Meeting-Lösungen, künstliche Intelligenz oder virtuelle Realität einzubinden.
Das alles summiert sich seit Jahren zu einem Renovierungsstau, der in die Milliarden geht. Während für die deutsche Infrastruktur aus Schienen, Straßen und Trassen bereits ein Investitionsvolumen von 600 Milliarden Euro in den kommenden Jahren kalkuliert wird, schätzte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schon Anfang der 20er Jahre, dass der Digitalrückstand in deutschen Unternehmen nur aufzuholen sei, wenn die Firmen das Doppelte bis Dreifache in ihre IT-Infrastruktur investierten. Die Zahl hat sich seitdem weiter verschlechtert. Die Quittung zeigt sich in den internationalen Rankings, wo Deutschland inzwischen auf Platz 23 gelandet ist, gemessen am Digitalisierungsgrad in Unternehmen und Verwaltung.
Doch auch das Management im deutschen Mittelstand altert zusehends. Gerade bei den den Mittelstand tragenden rund drei Millionen Familienunternehmen ist der Generationswechsel seit Jahren ins Stocken geraten. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) schätzt, dass allein eine Viertelmillion Betriebe im laufenden Jahr durch fehlende Unternehmensnachfolge in Gefahr sind. Das liegt einerseits an hohen steuerlichen Hürden bei der Übergabe, andererseits aber auch an der mangelnden Perspektive der Nachfolger, die in einem lebenslangen aufopferungsvollen Unternehmertum keinen Lebensplan für sich erkennen.
Im Ergebnis bleibt eine Frischenzellenkur für den Mittelstand aus: Der Status quo obsiegt. Nach einer Umfrage des Meinungsportals YouGov dritteln sich die Ursachen für die fehlende Bereitschaft zur Transformation auf starre Strukturen, die Veränderungen verhindern, fehlendes Geld, das angesichts der schwachen Konjunktur auch perspektivisch nicht zu erwarten ist, und mangelnde Zeit im Alltagsgeschäft – auch wegen zu großen Aufwendungen für bürokratiebedingte Aufgaben.
Doch wie soll man auch Perspektiven und daraus genährte Investitionsbereitschaft entwickeln, wenn die aktuelle Politik so perspektivlos ist und auch an den einfachsten Innovationsprojekten scheitert? Die aktuelle Haushaltsdebatte in der Ampel-Koalition offenbart weit tiefere Zerwürfnisse als sie uns bisher schon vorgeführt wurden. Der Wille zur Erneuerung wird gelähmt durch mangelnde Kompromissbereitschaft, um nicht zu sagen: ausgesprochene Verbohrtheit.
Für das alles erhalten wir derzeit die Quittung: "Die immer größeren wirtschaftlichen Unwägbarkeiten infolge von Pandemie und Krieg, aber auch aufgrund schwankender Wirtschaftspolitik, einer immer dichteren Regulierung und dem zunehmenden Fachkräftemangel setzen den Mittelstand besonders unter Stress", warnt die DIHK. "Das zeigen unsere Unternehmensbefragungen. Viele KMU verfügen nicht über Spezialabteilungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Und die entsprechenden Ressourcen fehlen dann den Unternehmenslenkerinnen und -lenkern für Innovationen."
Was wir brauchen, ist eine Frischzellenkur für den Mittelstand, die auf allen Ebenen greift – bei den Maschinen, bei der Digitalisierung, bei den Führungskräften und nicht zuletzt bei entschlackten Prozessen, die von Bürokratie und Nachweispflichten befreit werden müssen. Das ist Sache der Politik. "Gefragt sind verlässliche wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, mehr unternehmerische Freiheiten, wettbewerbsfähige Steuerlasten, eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung sowie deutlich und spürbar weniger Bürokratie“, fordert die DIHK. Aber dazu braucht es wohl erst eine Frischzellenkur für die Politik.