Der Kolumnist des britischen Wirtschaftsblatts „The Economist“ empfiehlt deutschen Familienunternehmern die (neuerliche) Lektüre des Romans „Buddenbrooks“ von Thomas Mann. Bei seinen Gesprächen mit Wirtschaftsvertretern in Deutschland sei er immer wieder auf dieses 1901 erschienene Buch angesprochen worden – als Sinnbild für den Niedergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Doch der weniger bekannte Untertitel „Verfall einer Familie“ weist eine ganz andere Richtung. Es waren nicht die äußeren Umstände, die die Buddenbrooks – denen Thomas Manns eigene Familie in Lübeck als Vorbild diente – in den Untergang trieb, sondern Mutlosigkeit, Perspektivlosigkeit und „spätrömische Dekadenz“.
Nun, soeben kassierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck seine Prognose für die Wirtschaftsleistung des laufenden Jahres, die nicht mehr plus 0,3 Prozent betragen werde, sondern minus 0,2 Prozent. Anders als bei anderen Volkswirtschaften in der Europäischen Union schrumpft das hiesige Bruttoinlandsprodukt also voraussichtlich. Besserung werde erst „in den kommenden Jahren“ zu erwarten sein. Ein Schwenk ins Positive ist also nicht einmal für das kommende Jahr sicher.
Dabei, so rechnet der Economist vor, werde ein bevorstehender Aufschwung nicht unbedingt von den Großkonzernen stimuliert. Es sei vielmehr allein der deutsche Mittelstand, der angesichts der Schwierigkeiten, in die Volkswagen und die anderen Autobauer geraten seien, und in Anbetracht der „Republikflucht“, wie sie durch den Aufbau von Produktionsstätten im Ausland stattfindet, den Wirtschaftsmotor wieder anspringen lassen wird. BASF baut seine milliardenschwere Fabrik in China, BioNtec sein Krebsforschungscenter in Großbritannien – und Intel kommt gar nicht erst.
Wer dagegen bleibt, sind die mittelständischen Familienunternehmer. Nach Beobachtung des ifo-Instituts steht fast die Hälfte der deutschen in Familienhand befindlichen Unternehmen vor der Übergabe an die nächste Generation oder – ersatzweise – vor dem Verkauf an einen Investor. In den nächsten drei Jahren werden es 43 Prozent der gut drei Millionen Firmen sein. „Vor allem die größeren Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern planen in den nächsten drei Jahren den Generationenwechsel, und zwar 50 Prozent von ihnen“, sagt Annette von Maltzan vom ifo Institut. Das klingt nicht nach einem „Weiter so“, sondern nach einer grundlegenden Neuausrichtung des deutschen Mittelstands.
Das ist Chance und Risiko zugleich. Denn die Übergabe an die nächste Generation erweist sich als schwieriger als bisher gedacht. Daran ist nicht allein das deutsche Steuerrecht Schuld, das bei einer Erbschaft oder Schenkung massive Zahlungen an den Fiskus vorsieht, die nicht selten den Erben in den virtuellen Bankrott treiben. Eine Ursache für die Übergabeprobleme besteht allerdings auch darin, dass sich die Gesellschafter zu spät für eine Übergabe entscheiden. Dann ist nicht nur das Management überaltert, sondern in vielen Fällen auch die Firmeninfrastruktur, die zu lange auf Erhalt und nicht auf Erneuerung getrimmt wurde. Denn wenn 43 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer über eine Firmenübergabe nachdenken, denken sie nicht gleichzeitig über neue Geschäftsmodelle, Digitalisierung und Automation nach.
Nach Ansicht von Wirtschaftsförderern kommt noch ein weiterer Aspekt erschwerend hinzu: beim Verkauf von Unternehmen haben wir inzwischen einen absoluten Käufermarkt, weil das Angebot die Nachfrage bei weitem übersteigt. Jungunternehmer und Investoren können sich Zeit lassen bei der Auswahl des Investments, das zu ihnen passt – je nach Branche, Region und betrieblichem Zustand. Zugleich haben viele Verkäufer angesichts des Herzbluts, das sie in die Firma gesteckt haben, überzogene Preisvorstellungen. Und es gibt Konkurrenz durch die Gründerszene. Die Aussicht, mit einem Startup ohne jede Vorbelastung zu beginnen, ist für viele inzwischen die attraktivere Alternative.
Doch wir brauchen Unternehmerinnen und Unternehmer mit neuen Ideen, neuem Technologieverständnis und neuem Mut. Wir brauchen einen Generationenpakt zwischen Jungunternehmern und Graurücken. Wer jetzt einsteigt, springt auf einen Zug in Richtung Fortschritt und Erneuerung. Dieser Generationenvertrag könnte wichtiger sein als der Rentenpakt. Denn ohne den Mittelstand bricht auch unser Rentenmodell zusammen. Es steht viel auf dem Spiel. Die Buddenbrooks sollten uns Warnung genug sein.