Zahllose Unternehmerkarrieren belegen: Innovatoren von gestern werden zu Bewahrern von heute und zu Bremsern von morgen. Heinz Nixdorf, dessen Lebenswerk unbestritten ist, mag als Beispiel für diesen Werdegang dienen. Es ist im Gegenteil äußerst selten, dass ein Mensch ein Leben lang disruptive Neuerungen vorantreibt, ohne sich doch irgendwann auf einem einmal gefassten Weltbild auszuruhen. Das ist der Zeitpunkt, an dem Führungskräfte in technologiegetriebenen Unternehmen beiseitetreten sollten.
Was für Führungskräfte gilt, gilt doppelt für die Belegschaft. Der menschliche Geist strebt danach, bewährte Muster zu wiederholen, bekannte Verhaltensweisen zu bevorzugen und Veränderungen deshalb als störend, ja sogar verstörend wahrzunehmen. Es entsteht eine „Kognitive Dissonanz“, wie die Psychologen sagen, wenn das eigene Weltbild durch Neuerungen herausgefordert wird. Dieser innerliche Konflikt führt dazu, dass neue Ideen abgelehnt werden, um die bestehende Ordnung beizubehalten. Hinzu kommen gruppendynamische Prozesse, die im Change Management berücksichtigt werden müssen, bei denen „Mitläufer“ sich den „Wortführern“ anschließen und so die Einführung von Neuerungen behindern. Den Wortführern ist dabei jedes Argument recht.
Man kann diese Mechanismen seit der Dampfmaschine und den von ihnen betriebenen Webstühlen verfolgen. Und egal ob Elektrizität, Telefonie, Ottomotor oder Computer – immer verläuft die Argumentationskette gleich: es fehle an der notwendigen Infrastruktur, der Nutzen wirke sich nur auf wenige Anwender aus, die Vorarbeiten seien zu aufwendig, der Erfolg und Ertrag seien ohnehin ungewiss und die strukturellen Verbesserungen ließen erhebliche soziale Folgen befürchten – angefangen von einer drohenden Massenarbeitslosigkeit bis hin zum zu befürchtenden Kontrollverlust.
Das ganze Orchester lässt sich nun wieder beobachten, während der anfängliche positive Hype um künstliche Intelligenz im Allgemeinen und generative Sprachmodelle im Besonderen allmählich ins Negative umschlägt. Geradezu klassisch ist die Studie des Instituts Walr [sprich Waller], wonach rund 2500 White Collar Worker aus dem englischsprachigen Raum zu Protokoll geben, dass KI mehr Arbeit verursacht, als es einspart. Demnach hoffen zwar 96 Prozent der Manager, dass KI-Werkzeuge die Produktivität des jeweiligen Unternehmens erhöhen können. 77 Prozent der Angestellten berichten allerdings, dass diese Tools die Arbeitslast erhöhen.
Vor allem wird von 39 Prozent der befragten Angestellten berichtet, dass diese viel Zeit mit der Moderation und dem Überprüfen der von KI erzeugten Ergebnisse aufwenden. 23 Prozent der Testpersonen investieren zudem Arbeitsleistung darin, die Nutzung eines KI-Tools überhaupt erst einmal zu lernen und zu verbessern. 40 Prozent der Angestellten sind generell der Meinung, dass Manager zu hohe Erwartungen an sie haben, wenn es um die Nutzung von KI geht. 47 Prozent der User haben keine genaue Ahnung, wie KI sie eigentlich bei der Arbeit unterstützen soll. Eindrucksvoller kann man das Versagen von Change Management kaum dokumentieren.
Ebenso spannend ist die aufkommende Diskussion darüber, dass generative KI-Systeme, deren große Sprachmodelle sich aus dem Internet-Content speisen, irgendwann nur noch die von ihnen selbst produzierten Inhalte rezitieren könnten und damit geradezu verdummen. Sie verhalten sich damit kaum anders als Verschwörungstheoretiker, die allein aus der Masse des von ihnen selbst produzierten Unsinns im Internet den Beweis antreten, dass an der Sache doch was dran sein müsse. Tatsächlich ziehen unternehmensinterne KI-Systeme ohnehin nicht ihren Hauptnutzen daraus, dass sie „das Internet zu Ende lesen“, sondern daraus, dass sie erstmals das in den Unternehmensdaten verborgene Wissen systematisch durchforsten.
Ähnlich verlaufen Argumente, dass das Training von großen Datenmodellen in absehbarer Zukunft gegen eine „Datenwand“ laufen wird. Wir produzieren, so die Befürchtung, einfach nicht genug Content, um große Sprachmodelle weiterentwickeln zu können. Das Problem liegt allerdings auch darin, dass unser Wissen in überwiegenden Teilen – nach Schätzungen bis zu 90 Prozent – noch nicht in maschinenlesbarer Form vorliegt. Was uns wieder zum ersten Einwand zurückführt: KI macht erst einmal Arbeit, bevor es einen veritablen Nutzen bieten kann.
Diese Erkenntnis galt schon für die digitale Transformation, die wir zu leger angegangen sind, und deshalb jetzt auch nicht den schnellen und überzeugenden Nutzen aus KI-Systemen ziehen können. Wir müssen nachsitzen, um das Klassenziel noch zu erreichen. Das Klassenziel ist nicht mehr und nicht weniger als das, was Siemens-CEO Roland Busch die Chance auf ein „Wirtschaftswunder 2.0“ nennt. Also ziemlich genau das, was in meinem letzten Blog den Titel „Industrie 5.0“ erhielt. „In der Digitalisierung sehe ich viele Chancen“, erklärte er gegenüber dem Manager Magazin. „Wir sitzen auf einem immensen Berg an Daten aus Produktion und Fertigung, aus Anlagen und Fabriken. Und wir wissen, wie diese Daten zu deuten sind. Wenn wir diese Daten mit künstlicher Intelligenz nutzbar machen, dann ist das der nächste Exportschlager aus Deutschland. Besonders industrielle KI, das ist eine Superkraft. Wir können Industrien in Deutschland und weltweit widerstandsfähiger, effizienter und nachhaltiger machen.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.