Es ist wie beim Groundhog Day – nur, dass das Murmeltier, das im Mittelstand täglich grüßt, inzwischen ein ausgewachsenes Ungeheuer ist: das Bürokratiemonster. Keine Mittelstandsstudie wird veröffentlicht, ohne dass die überbordenden Nachweis- und Dokumentationspflichten für Unternehmen beklagt werden. Und keine Infrastrukturbilanz wird aufgestellt, ohne dass die ausufernden Verwaltungs- und Genehmigungsprozesse angeprangert werden. Doch nichts scheint sich zu ändern. Im Gegenteil: das Bürokratiemonster hat in der jüngsten Mittelstandsstudie der Volks- und Raiffeisenbanken einen beklagenswerten Spitzenplatz eingenommen: 82 Prozent der untersuchten Unternehmen nennen in der aktuellen Auswertung die Bürokratiekosten als eine der Ursachen für ihre gegenwärtige schwierige Lage.
Ist es jetzt ein gutes Zeichen, wenn nicht mehr schwache Konjunktur, hohe Steuerlast (51 Prozent der Nennungen), quälender Fachkräftemangel (75 Prozent) oder erdrückende Energiekosten (64 Prozent) als meist genanntes Problemfeld aufgeführt werden? Lässt sich daraus vielleicht sogar ein Hoffnungsschimmer ableiten? Immerhin ließe sich dem Bürokratieaufwand auch durch Investitionen in Digitalisierung und künstliche Intelligenz beikommen. Die Erwartungen für ein besseres Wirtschaftsklima und für eine baldige Erholung fallen in der Umfrage jedenfalls nicht mehr mehrheitlich negativ aus. Während 24 Prozent der Befragten angaben, dass sich ihre Geschäftslage „stark“ oder „etwas“ verschlechtern wird, rechnen 26 Prozent damit, dass sich das Geschäft „stark“ oder „etwas“ erholen wird. Die Lage scheint besser zu sein, ist aber noch lange nicht gut.
Und nein, es ist kein gutes Zeichen, wenn zehn Jahre nach Günther Oettinger als EU-Kommissar für Bürokratieabbau immer noch keine spürbaren Erleichterungen erfolgt sind. Im Gegenteil: mit dem neuen Lieferkettengesetz entstehen dem Mittelstand weitere Nachweispflichten. Denn zwar zielt das Gesetz nicht auf kleine und mittlere Unternehmen, sondern auf die global agierenden Konzerne, doch die wälzen ihre Bürokratieaufwände auf ihre mittelständischen Zulieferer ab. Das Bürokratiemonster erdrückt also gerade die, die es verschonen wollte.
Und es ist gewiss kein gutes Signal, wenn die Analysten der Volks- und Raiffeisenbanken nach der Durchsicht von rund 2,5 Millionen Jahresabschlüssen mittelständischer Unternehmen aus den letzten drei Jahren zu dem Ergebnis kommen, dass die Bilanzqualität so schlecht ist wie zuletzt 2012 als Folge der Finanzkrise. Hauptverantwortlich für diese Verschlechterung ist der dynamische Verschuldungsgrad im Mittelstand. Dabei stieg die Verschuldung stärker als der Cashflow, die Eigenkapitalquote sank dagegen im vierten Jahr hintereinander auf jetzt 26,9 Prozent. Allerdings lag der Eigenkapitalanteil auch schon mal bei schlappen zehn Prozent – das war im Krisenjahr 2001.
Kein Wunder, dass die Investitionsneigung weiterhin stagniert – das ist fatal angesichts der Tatsache, dass der Mittelstand in Sachen Digitalisierung einen Rückstand aufholen muss, während der Einstieg in Lösungen mit künstlicher Intelligenz gerade verschlafen wird. So ermittelte die DZ Bank in einer Sonderumfrage zum Einsatz von künstlicher Intelligenz, dass 35 Prozent der befragten Unternehmen noch keinerlei Planungen betreiben, während weitere 20 Prozent noch auf der Suche nach einem möglichen Einsatzbereich sind. Dabei ist sich die überwältigende Mehrheit der Befragten sicher, dass KI ihnen große Potenziale bei der beschleunigten Erledigung von Routinearbeiten eröffnen könnte. Das könnte dazu beitragen, das Bürokratiemonster zu bändigen.
Das wäre gut, besser aber wäre es, die EU-Kommission und die Bundesregierung würden endlich Ernst machen mit dem Abbau von Bürokratiehürden – und zwar sowohl für Unternehmen als auch in der Verwaltung. Es ist ja geradezu peinlich, dass die Schweizer Autobahn über den San Bernadino, die auf 200 Metern durch Starkregen und Schlammmassen weggespült worden war, nach zwei Wochen wiederhergestellt wurde. In Deutschland hätte das Bürokratiemonster bereits verhindert, dass innerhalb von zwei Wochen auch nur die Ausschreibung für die Baumaßnahme rausgegangen wäre. Wir stecken buchstäblich in Schlammmassen und im Schlamassel unser eigenen Regelungswut.
So gelingt weder eine schnelle konjunkturelle Erholung noch eine Aufholjagd bei Digitalisierung und KI-Nutzung. Dabei wären Digitalisierung und KI wichtige Voraussetzungen für eine konjunkturelle Erholung. Doch in Zeiten voller Auftragsbücher fehlt dem Mittelstand die Zeit, bei schwächelnder Konjunktur das Geld für die Innovationen. Das ist ein Teufelskreis, in dem das Bürokratiemonster täglich grüßt. Es geht uns zwar allmählich besser, aber noch lange nicht gut.