Löst die Blockaden in den Köpfen!
Es wirft ein Licht auf die deutsche Psyche, dass wir in Betrachtungen über den Wirtschaftsstandort Deutschland meist von der „Exportabhängigkeit“ reden. Das klingt, als wäre der Patient Deutschland reif für den Entzug. Doch diese Abhängigkeit ist alles andere als eine Schwachheit, sondern Ausdruck der Stärke unseres Wirtschaftsstandorts. Denn der Export beruht auf Nachfrage aus dem Ausland. Und dabei handelt es sich um die Nachfrage nach Qualitätsprodukten, die wiederum auf Innovation, Qualifikation und Investition beruhen.
Stattdessen tun wir so, als handele es sich bei „Made in Germany“ um Allerweltsprodukte, wie sie von den chinesischen Online-Händlern Shein oder Temu zu Spottpreisen auf den Markt geworfen werden. Deren Modell schürt wahrhaftig eine „Exportabhängigkeit“, die auch nur mit fortgesetztem Pricedumping zu regulieren ist. Genau deshalb haben inzwischen die führenden europäischen Verbraucherschutzorganisationen und Handelsverbände die EU-Kommission aufgefordert, regulierende Schritte einzuleiten. Die hat auch prompt reagiert und die beiden Händler aus China aufgefordert, bis zum 12. Juli wichtige Fragen zur Einhaltung des Digital Services Act zu beantworten.
Geschieht das nicht im ausreichenden oder zufriedenstellenden Maße, dann drohen Strafzahlungen und – wenn das nicht hilft – Strafzölle. Das ist der klassische Reflex der Europäischen Union, wenn es um die Wahrung des freizügigen Handels geht. Soeben musste Bundeswirtschaftsminister Habeck in China damit werben, dass die angedrohten EU-Strafzölle auf chinesische Automobile eigentlich niemand wolle, aber die „ultima ratio“ zur Wahrung der Chancengleichheit darstelle. Als wenn die deutsche Automobilindustrie nicht traditionell durchsubventioniert würde – und vielleicht auch deshalb und aus Bequemlichkeit den innegehabten technologischen Vorsprung verloren hat.
Subventionitis, Protektionismus und Umverteilung führen dazu, dass die Schwachen in ihrer Schwäche gestärkt werden – und verhindern die sprichwörtliche „kreative Zerstörung“, die durch Innovationen, neue Geschäftsmodelle und neue Services entstehen. Der Begriff geht auf den österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter zurück, der in der Erkenntnis, dass das Neue der Feind des Alten sei, die treibende und gestaltende Kraft im Kapitalismus sieht. Und diese Kraft der Disruption ist stärker als jeder Protektionismus.
Das ist die Blockade, die Politiker wie Unternehmer in ihren Köpfen lösen müssen. Wir müssen uns auf unsere Stärken zurückbesinnen; darauf, dass vor jedem „Made in Germany“ auch ein „Invented in Germany“ stehen sollte. Es hilft nichts, wenn sich Politik und Wirtschaft gegenseitig verlorene Rangplätze im internationalen Vergleich vorwerfen und wir uns auf dem „Zukunftstag“, der der Tag der Industrie eigentlich sein sollte, in Vergangenheitsbewältigung und Selbstverteidigung üben.
So hat denn auch BDI-Präsident Siegfried Russwurm nach einem ersten Resümee auch den Blick in die Zukunft gerichtet und neben der Energiewende die Digitalisierung als zweite große Zukunftsherausforderung identifiziert. „Wir lernen jeden Tag über die Notwendigkeiten, Chancen und Risiken von IT und KI“, sagte er. Im Bereich der Industrieautomatisierung sei Deutschland durchaus führend. „Aber die Basistechnologien, die Schlüsselkompetenzen und Forschungs- und Innovationsaktivitäten der digitalen Plattformen werden nahezu ausschließlich von den großen Playern in den USA beherrscht.“ Deshalb müssten wir aus gesundem Eigeninteresse unsere Kompetenzen stärken. Das seien „Investitionen in die eigene Handlungsfreiheit.“
In der Tat: Wir brauchen mehr Zuversicht. Nach dem jüngsten Stimmungsbarometer der KfW keimt im Mittelstand ein zartes Pflänzchen an Selbstvertrauen und Zukunftsgewissheit. Es wäre an der Zeit, den schlafenden Löwen zu wecken. Deutschland verhängt noch vor Japan und Italien die höchsten Steuern. Sie wirken wie Strafzölle gegen die eigene Wirtschaft. Gleichzeitig investieren wir trotz dieser Mehreinnahmen weniger in unsere Infrastruktur als andere Länder. Dies wiederum behindert die Wirtschaft in praktisch allen Industriezweigen. Allein durch Umwege wegen Brückensperrungen verlieren deutsche Unternehmen tagtäglich Geld auf der Straße.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat auf dem Tag der Industrie in Berlin seine Weigerung bekräftigt, die Schuldenbremse zu lockern. Gleichzeitig arbeitet sein Ministerium an einem Dynamisierungspaket, das neben Steuererleichterungen auch Bürokratieentlastungen bringen soll. Finanziert werden soll diese Dynamisierung durch Einsparungen im Umverteilungs-Haushalt. Dazu wird er keine Zustimmung bei den rotgrünen Koalitionspartnern erhalten. Sein mögliches „Bauernopfer“ wäre eine Reform der Schuldenbremse oder die Ausrufung eines nationalen Notstands. Das erste wäre disruptiv im Schumpeterschen Sinne, das zweite entspräche der gegenwärtigen deutschen Psyche, alles schlechtzureden.
Reform der Schuldenbremse plus Steuererleichterungen plus (ernstgemeinter) Bürokratieabbau – das wäre so etwas wie ein kleines Wirtschaftswunder. Um das zu erreichen, müssen wir nur die Blockaden im Kopf lösen und über den Parteischatten springen. Es könnte den schlafenden Löwen wecken.









