KI ist Teil unserer Evolution
Nach Holz, Kohle, fließendem Wasser und Muskelkraft als Energiequellen kam erst einmal mehrere Jahrtausende lang nichts Neues, ehe neue Potentiale mit Pulver, Dampf, Elektrizität, Öl, Kernkraft und (hoffentlich) demnächst Kernfusion aufgeschlossen wurden. Seit der Aufklärung geht es nun Schlag auf Schlag – auch bei der Mobilität: Fahrrad, Eisenbahn, Automobil, Flugzeug, Raketen. Und seit man verstanden hat, wie mit Hilfe von Transistoren Logik abgebildet werden kann, und diese Schaltelemente immer kleiner und dichter gepackt werden, geht es mit der Computerisierung, Digitalisierung und schließlich mit Künstlicher Intelligenz in einem Tempo voran, so dass vielen Menschen die Luft wegbleibt. Genau das war bereits die Sorge, als die ersten Züge zwischen Nürnberg und Fürth mit acht Stundenkilometern „dahinjagten“: sie könnten sterben, meinte man, weil ihnen die Luft wegbleibt.
Im Grundsatz hat sich durch KI nichts geändert. Künstliche Intelligenz ist wie alle Innovationen zuvor auch Teil der gesellschaftlichen, technischen und – ja, das müssen wir zugeben – biologischen Evolution. Denn so wie neue Energiequellen die menschliche Körperkraft vergrößerten, Fahrzeuge die menschliche Beweglichkeit erweiterten und Mikroprozessoren die Arbeit automatisierten, so verbessern KI-Systeme die menschliche Erkenntnisfähigkeit – denn, wohlgemerkt, das Wort „Intelligence“ in „Artificial Intelligence“ steht nicht für Intelligenz, sondern für Erkenntnis.
Wir würden hierzulande einen großen Teil der KI-Hysterie ausblenden können, wenn wir AI mit KE, also „künstlicher Erkenntnis“, übersetzen würden. Aber nun ist der Popanz von der Intelligenz nun mal in der Welt – und wir müssen mit diesem Missverständnis ebenso leben, wie die Eisenbahner der ersten Stunde damit leben mussten, dass ein Fußgänger mit roter Fahne einer Dampflok vorausgehen musste, um die Bevölkerung vor der doppelten Gefahr – Dampfkraft und Geschwindigkeit – zu warnen.
In diesem Spannungsverhältnis zwischen Zuversicht und Sorge, Hoffen und Bangen, Chancen und Risiken stand der “Gesellschafts-Talk: Künstliche Intelligenz“ der Technischen Universität München am Montag letzter Woche, die quasi als Motto und Ziel der Veranstaltung das eigene Signe „TUM“ in „Mut“ umsetzte. Die von Florian Langenscheidt moderierte Diskussion kreiste schnell um die beiden Pendelpunkte – einerseits die Chancen für die Zukunft, andererseits die Notwendigkeit, Ethik und Soziales nicht außer Acht zu lassen. Der schließlich gefundene Konsens lautete: Künstliche Intelligenz kann Prozesse optimieren, aber ohne menschliche Empathie bleibt alles seelenlos und unvollständig.
Das gilt insbesondere für Erkenntnisprozesse! Es reicht nicht, „kalt“ zu erkennen, dass Menschen aus sogenannten sozialen Brennpunkten größere Schwierigkeiten haben, Kredite zurückzuzahlen – und aus diesem Grund einen Kredit zu verweigern. Es geht immer auch um Empathie, Chancen und Förderung. Interessanterweise kreiste parallel zum TUM-Talk bei Markus Lanz im ZDF eine Diskussion um genau dieses Wechselspiel von Intelligenz und Erkenntnis. Dabei sollte es eigentlich um die Frage gehen, wie KI unser Bildungssystem verändert…
Der 18jährige Abiturient Florian Fabricius brachte die Realität in den Schulen auf den KI-Punkt: Während die Schüler ChatGPT auf ihrem Laptop im Unterricht längst einsetzen, würden Lehrkräfte Sätze sagen wie: „Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass KI in 15 Jahren unsere Gesellschaft verärndern wird.“ Wenn es darum ginge, argumentierte der hessische Abiturient, dass Schülern und Schülerinnen möglichst früh der Umgang mit Künstlicher Intelligenz vermittelt werden sollte, müsse man doch fragen: von wem eigentlich. Denn es seien erstens die Schüler, die den KI-Einsatz ihren Lehrern vermittelten, und zweitens seien es die Jüngeren, die ihren älteren Mitschülern den Einsatz von KI-gestützten Sprachassistenten vormachten. „Wir Schüler warten nicht darauf, bis irgendeine Kultusministerkonferenz irgendeine Handreichung schreibt.“ Die Erfahrungen mit KI führten stattdessen zu einer Grundhaltung, wonach sich immer mehr Schüler die Frage stellen: Warum soll ich mir Wissen aneignen, wenn erstens ein Teil dieses Wissens am Ende meiner Schulzeit bereits überholt ist und wenn ich zweitens jederzeit eine KI fragen kann.
Damit schuf er eine Steilvorlage für den deutschen KI-Pionier Hans Uszkoreit, der zwischen „kristalliner“ und „fluider“ Intelligenz unterschied, also dem fest verdrahteten Wissen und den Schlüssen, die man daraus ziehen kann. Während KI also vor allem bei der Aufbereitung von kristallinem Wissen und den daraus zu ziehenden Erkenntnissen hilft, bleibt es der menschlichen Intuition und Empathie vorbehalten, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Damit schlug der ehemalige Standford-Professor und jetzige Wissenschaftliche Direktor am Deutschen Forschungszentrum für KI wiederum die Brücke zurück zum TUM-Talk, auf dem ich per Video-Clip auch ein Statement einbringen durfte: „KI ist ein Spiegelbild unserer Kreativität und unserer Fähigkeit, Maschinen zu schaffen, die – wie wir – lernen und wachsen können.“
Insofern ist Künstliche Intelligenz auch ein Teil unserer Evolution – und wie immer profitieren dabei die Fittesten. Das sollte auch mittelständischen Entscheidern, die mit ihrer KI-Qualifikationen noch warten wollen, als Mahnung dienen.









