Wirklichkeit und Wahrnehmung
Politiker hatten noch nie einen guten Ruf. Das grobe Narrativ der (Nicht)Wähler geht etwa so: Ein Politiker versucht, Probleme zu lösen, die es ohne ihn nicht gäbe. Der 2011 verstorbene Chansonier Georg Kreisler widmete ihnen ein Lied, in dem es im Refrain heißt: „Aber was für´n Ticker ist ein Politiker? Ist er wirklich so vonnöten wie er glaubt?“ Es scheint, dass das Wahlverhalten zur Europawahl genau dies zum Ausdruck bringt: die SPD verliert an die Nichtwähler, die Union an die Protestwähler, die Grünen an die Leugner des Klimawandels, und die FDP ringt mit der Fünf-Prozent-Hürde.
Umgekehrt küren die Wähler ausweislich des ZDF-Politbarometers ausgerechnet einen sozialdemokratischen Verteidigungsminister zum beliebtesten oder doch zumindest vertrauenswürdigsten Politiker der Gegenwart. Gleichzeitig strafen sie, obwohl sie mehrheitlich eine Unions-geführte Bundesregierung wünschen, den wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten, Friedrich Merz in dem Politikerranking ab. Ja, in den eigenen Reihen werden gleich drei Personen dem Unionsvorsitzenden vorgezogen: Hendrik Wüst, Daniel Günter und Markus Söder – alle drei Ministerpräsidenten und damit Entscheider. „Macher“ eben.
Der Oppositionsführer Friedrich Merz hingegen hat kein Staatsamt, in dem er „machen“ kann. Seine Paradedisziplin ist die Standpauke – und gerade dadurch fördert er das Narrativ von „denen da oben, die nur reden und nicht handeln“. Sein Antagonist, der Bundeskanzler, wiederum gehört zu denen, „die immer nur schweigen und nicht handeln.“ Zwischen diesen beiden Antipoden reihen sich in der Wahrnehmung der Wähler nahezu alle Vertreter des aktuellen Politikertableaus ein, weil sie weder den Politikern über die Schulter schauen, noch ihren Beiträgen im Parlament lauschen. Sie hören nur, wie sie sich gegenseitig bei Illner, Maischberger und Lanz ins Wort fallen: sie beschönigen, beckmessern, verurteilen andere und verteidigen sich. Es klingt stets so, als würde auf der Brücke der Titanic nach dem Crash mit dem Eisberg erst einmal darüber verhandelt, wer den Unfall verursacht hat und wie nun der Schwimmunterricht für die Passagiere organisiert werden kann.
Niemand kann ernsthaft behaupten, Politiker würden ihre Arbeit nicht tun, nicht das Beste fürs Land wollen oder nicht fleißig genug sein. Sie sind auch weder korrupt (mit Ausnahmen), noch korrumpierbar. Im Gegenteil: Sie opfern sich – vor allem im Ehrenamt in den Kommunen – für die Gemeinschaft auf. Sie wollen die „res publica“ gestalten, verbessern, optimieren, innovieren. Aber ihr Image bleibt verhagelt. Die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit könnte nicht größer sein. Sie ist das Ergebnis eines massiven Kommunikationsgefälles zwischen Sendern und Empfängern.
Es ist frappierend, dass genau dieses Kommunikationsgefälle auch zwischen mittelständischen Unternehmern und der Bevölkerung besteht. Nach einer umfangreichen Befragung der Kommunikationsberatung Klenk&Hoursch (Image-Barometer 2024) über die wahrgenommene Leistung von mittelständischen Unternehmen zeigt sich exakt diese Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit. Die in der Befragung getroffenen Aussagen könnten widersprüchlicher nicht sein – und auch kaum weiter weg von der Realität:
Zwar wird dem Mittelstand konzediert, eine große Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu haben, doch auf die Herausforderung der Gegenwart und Zukunft sehen die Deutschen den Mittelstand schlecht vorbereitet.
Die Befragten erkennen vor allem Großunternehmen und Startups als Innovatoren in Deutschland, während der Mittelstand bei Themen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nicht gesehen wird.
Dem Mittelstand wird geglaubt, seiner Kommunikation wird vertraut. Doch in der Öffentlichkeit fehlt dem Mittelstand die Stimme und damit das Gehör.
Alle Generationen sehen die Zukunft mit Skepsis – doch besonders kritisch wird der Mittelstand in der Generation Z gesehen.
Generell werden deutsche Unternehmen als wenig nachhaltig gesehen – das gilt für die eigene Produktion, aber auch für die Produkte und Dienstleistungen. Das trifft in den Augen der Befragten vor allem auf den Mittelstand zu.
In der Wahrnehmung der Deutschen gilt das Augenmerk der Politik vor allem Großunternehmen.
Aber: die Deutschen wollen lieber im Mittelstand arbeiten und sehen das Jobrisiko eher bei Großunternehmen.
Und: Familienunternehmen gelten als Sympathieträger.
Warum ist das so? Warum gelingt es Millionen von mittelständischen Unternehmern – angefangen beim Bäcker nebenan über die Kfz-Werkstatt bis zum Maschinenbauer – nicht, ihre Leistung wahrnehmbar zu machen? Es fehlt – trotz mehrerer miteinander konkurrierender Mittelstandsvereinigungen – an der einen Stimme, die von allen gehört wird. Der Mittelstand braucht eine Kommunikationsstrategie, die Wahrnehmung und Wirklichkeit übereinander bringt. Da sitzen mittelständische Unternehmer im gleichen Boot wie die Politiker.









